2. Der Nachthimmel Afrikas

Nachthimmel

Also komm weiter mit:
Viele Male sieht Mahisha die Mutter mitten in der Nacht mit der Taschenlampe zu einer Entbindung ins nahe gelegene Spital eilen. Und es erfüllt sie mit einer tiefen Zufriedenheit.
Dann stirbt ihr Bruder und das Leben der Mutter sollte sich von diesem Zeitpunkt an für immer verändern. Nichts scheint mehr normal zu sein nach diesem Vorfall. Man gibt der Trauer einen festen Platz im Leben. Es bleibt ein tapferes Bemühen übrig.
Man sagt zu dem Kind Mahisha: „Wir müssen Ihn ehren, auch wenn Er uns schlägt.“
Und es scheint die, die so reden nobel zu machen.
Man führt sie in viele Bräuche ein und liest ihr mit unermüdlicher Sorgfalt all die Geschichten vor, die an Brisanz jedes Märchen überbieten. Durfte man Kindern überhaupt so etwas vorlesen?

Die Eltern verbringen die Tage damit, mehr Leute zu finden, die bereit sind mit ihnen in einer Übereinkunft zu leben.
Wenn viele das Gleiche denken, bekommt es, auch wenn es nicht wahr sein sollte, so eine Art Macht. Und dann erlaubt man dieser Kraft die Kontrolle zu übernehmen. Es ist eine unsichtbare Übereinkunft mit Sicherheitsbegrenzung entstanden. Oftmals kann man dann auf einem Schild lesen, um was für eine Übereinkunft es sich handelt. Die Einheimischen nennen es auch in ihrer Bantusprache „Hawakupata“. Was so viel heißt wie „Jetzt haben sie dich.“
Kinder vor allem Weiße, die sich entscheiden, nicht in dem Hawakupata aufzuwachsen, werden den Überzeugungen dieser Übereinkünfte geopfert - Herrschern, die doch nicht die Würde einer Gottheit besitzen und lehnen ganz heimlich die Kinder ab, die das Hawakupata nicht mögen.
Der Sonne Afrikas scheint dies egal zu sein. Sie lacht über all den Machenschaften und verbreitete für alle Wärme.

Dann kommt jener unvergessene Tag. Um sieben Uhr morgens verlässt die heranwachsende Mahisha bepackt das Haus. Sie macht sich auf den Weg zum Bus, um im 200 km entfernten Ort Freunde zu besuchen. Da, wo es vor einer Stunde noch menschenleer ist, beginnt emsige Geschäftigkeit. Frauen in bunten Tüchern, ein Baby auf dem Rücken und Männer die während sie die zusammengeschnürten Gepäckbündel bewachen, ein kleines Brettspiel miteinander spielen. Mahisha wartet mit den anderen auf den Bus.
Es ist heiß und stickig im Bus, man hört das Plärren eines Radios und das Kreischen der Kinder. Ein etwas 8-jähriges, afrikanisches Kind, scheint sich nicht beruhigen zu lassen. Es klagt und wimmert die ganze Zeit. Mahisha will trösten, helfen oder sonst etwas Hilfreiches tun und spricht das Kind etwas unbeholfen an. Aber es ist schon zu schwach für irgendeine Reaktion. Die Mutter wischt sich eine Träne aus dem Gesicht und sagt bemüht harsch: „Geh weg, es hat einen bösen Geist!“
Ein aggressiver Virus hat angegriffen und raubte diesem Kind langsam und qualvoll das Leben.
Diese Killerviren suchen immer neue Opfer. Nun ist es ein weißes Leben. Erst 14 Jahre hat dieses Leben gedauert.
Man schiebt Mahisha in ein Zimmer und hofft auf Besserung. Sie kämpft anfangs noch ums Überleben. Der Virus hat das Gehirn erreicht und verursacht Bewusstseinsstörungen und andere schwere Organschäden.

Wenn Mahisha mal etwas fühlt, dann fühlt sie Dankbarkeit ein Zimmer und ein Bett zu haben. Viele hat sie unter anderen Bedingungen sterben sehen. Sehr viele. Womit mochte diese Art der Bevorzugung wohl zu tun haben?
Abends hört sie das Heulen der Hyänen und schaut nach Einbruch der Dunkelheit in den sternenklaren Nachthimmel Afrikas. In der Ferne hört man Abend für Abend ein Wogen von Menschenstimmen und Tierlauten. Unvergesslich brennen sich Eindrücke, Laute und Gerüche der warmen Nächte in die Sinne.
Sie schaut jeden Abend in den völlig überfüllten Nachthimmel bis das Bewusstsein sie wieder verlässt. Sie spaziert mit den Augen von einem Stern zum anderen. Wenn sie so in den Sternenhimmel sieht, ist es so, als würde sie etwas mit der Unvergänglichkeit verbinden. Es kommt immer öfter vor, dass sie nicht mehr zurückkommen möchte in die Begrenztheit des schmerzenden, ausgezehrten Körpers. Dann schließt sie kurz die Augen bis Fieberkrämpfe erneut den Körper schütteln und sie wieder etwas unsanft gelandet ist. Viele Nächte schaut sie in den Himmel und es beginnt sich eine leise Frage in ihr zu formen. „Wohnst Du dort oben, Du geheimnisvolles Mysterium?“
Sie findet keine Antwort und fühlt sich mit dem schwarzen, schweren Buch, das man ihr neben das Bett gelegt hat, allein gelassen.
Gibt man denn jemand, der leben will, ein schwarzes, undendlich schweres Buch? Es ist so schwer, dass Mahisha längst die Kraft fehlt, es überhaupt zu halten. Ist das tragische Situationskomik oder geheimnisvolle Absicht?
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